Wir haben uns ordentlich auf das Gefechtsschießen vorbereitet. Wir wußten auch, daß wir eine in die Jahre gekommene Technik hatten und was man mit dieser Technik machen kann und auch was nicht geht. Auch waren wir in der Militärfliegerei keine "Neulinge" und hatten schon eine Portion Erfahrung und auch die notwendigen Fähigkeiten diese Technik zu bedienen. Wir im JG-2 haben immer die älteste Technik gehabt, denn die neue Flugzeugtechnik ging immer an Standorte/Flugplätze, die nicht so nahe am Stadtgebiet lagen (z.B. Peenemünde – Nordspitze Usedom schon immer Sperrgebiet oder Preschen – zwischen dem Sperrgebiet Nochten und den Tagebauen).
In Astrachan war es in der Regel so, dass am ersten Flugtag Kontrollziele abzufangen sind und an den folgenden Flugdiensten das Schießen auf die realen Luftziele erfolgt. Das uns aber Bedingungen in Astrachan erwarten, die mit dieser unserer Technik nicht zu erfüllen waren, wußten wir nicht, haben wir spätestens am ersten Tag aber mitbekommen.
Einige Beispiele sollen dies verdeutlichen, Beispiele nur aus der Sicht von uns Flugzeugführern (Notizen auf der Rückseite des Steuermannsplan - Aufzeichnungen vor Ort bei der Auswertung unerwünscht):
* Abfangen im Kettenverband (paarweise aufeinanderfolgend) in der Stratosphäre gab es Zielmanöver bei denen man im Überschallflug, mit einer Annäherungsgeschwindigkeit > 500 kmh zur Zielverfolgung Schräglagen einnehmen mußte, die keine Abschußbedingungen für die überalterte Infrarotrakete R-S zuließen
* Abfangen im Kettenverband in der untere Einsatzhöhe des Funkmeßvisiers (Übung 5), der Schirm voller Störungen (auch vom Boden). Das Ziel wurde erkannt, erfaßt und obwohl in günstigen / oft auch optimalen Entfernungen für die Raketen, stabilem Tonsignal des infrarot-Zielsuchkopfes der Abschuß der Raketen erfolgte, machten die Raketen was sie wollten.
* Erschwerend kam hinzu, daß die Bewaffnung im Kettenverband so festgelegt war (von wem auch immer), daß nur der letzte Flugzeugführer im Verband (der erfahrungsgemäß nicht die besten Bedingungen im Abfangprozeß bekommt) 2 richtig scharfe Raketen hatte. Hintergrund dieser Festlegung war, daß nicht der Erste gleich einen Abschuß bringt, sondern so viel wie möglich Flugzeugführer des Verbandes auf das Ziel schießen konnten. Die Raketen der ersten Flugzeugführer waren Raketen, die nicht die vollen Parameter erfüllten, sei TW-mäßig oder in bezug auf den optische Annäherungszünder - unter uns immer als „Pappraketen“ bezeichnet. Einige hatten auch die Lagerungszeit überschritten, wurden aber dennoch verwendet, mußten sozusagen "verschossen" werden.
Bei einem Luftziele wurde von der Bodenstation gemeldet „Ziel fällt - vernichtet“, tauchte aber später auf dem Schirm wieder auf.
Beim Abkurven eines Flugzeugführers kurvte das Ziel diesem hinterher, so daß der nächste Flugzeugführer nicht schießen konnte/durfte – Sicherheit!
Wir waren als Flugzeugführer der 1.JS des JG-2 nicht bereit uns für Sachen verantwortlich machen zu lassen, für die wir nichts konnten. Taktische Unzulänglichkeiten der Technik auf Grund des Alters (eine andere Flugzeugeneration, Raketenproblematik) für die realen Bedigungen in Astrachan.
Wieder zu Hause am Heimatstandort haben wir uns mit den Dingen beschäftigt die wir kannten, die uns vorgeworfen wurden, die zum „Nicht erfüllt“ geführt haben - alle Hintergründe werden wir nicht erfahren haben. Es wurde auf dem militärischen Weg alles unternommen (den technischen Parametern und tatsächlich angetroffen Manövern, Treffer- und Vernichtungswahrscheinlichkeiten berechnet und viele Dinge praktisch probiert, Meinungen ausgetauscht) und auch auf dem "Parteiweg" (bis hin zum Parteiaktiv der LSK/LV in Straußberg) immer alles angesprochen und aufgezeigt und mit Fakten belegt, um uns nicht zu den „Trotteln“ der LSK/LV machen zu lassen.
Nicht zu vernachlässigen ist auch folgende Tatsache:
Ab April 1985 begann „Glasnost“ in der Sowjetunion, die dann in die 1987 eingeführte Reformpolitik der „Perestroika“ mündete. Flugzeugführer, die in früheren Jahren schon einmal in Astrachan stellten fest, daß es etwas anders war als früher. Wir haben die Auswirkungen selbst gespürt. Uns wurde gezeigt, daß man mit „Oldtimern“ im militärischen Bereich nichts ausrichten kann, auch wenn sie noch so gut gepflegt sind.
1988 waren wir wieder in Astrachan zum Schießen, mit gleicher Flugzeugtechnik aber anderen Raketen und anderen Bewaffnungsvarianten und haben das Gefechtsschießen mit „Sehr gut“ erfüllt.
Wir haben in Trollenhagen den Beginn der Bauarbeiten zur Vorbereitung der Stationierung von MiG-29 noch mitgemacht (z.B. drehen der Vorstartlinie - Lärmpegel von der Stadt Neubrandenburg weg), selbiges aber nicht mehr erlebt.