Gefechtsschießen in Astrachan
In der Steppe bei Astrachan gab es einen Rayon in dem regelmäßig die Fliegerkräfte des Warschauer Vertrages auf reale Luftziele (funkferngesteuerte La-17) geschossen haben.
Der "scharfe Schuß" mit Raketen (gleich ob infrarotgesteuerte oder leitstrahlgelenktete) auf ein Luftziel konnte zu Übungszwecken (sogennantes GEFECHTSSCHIESSEN) nur in einem dafür vorgesehenen Gebiet über der Steppe von Kasachstan vom Flugplatz Priwolshskij bei ASTRACHAN (Астрахан-Приволски, Rußland) durchgeführt werden.
Bis Anfang der 80-er Jahre wurde das "Gefechtsschießen" mit Technik, die sich am Fluplatz in Astrachan befand, absolviert. In den Jahren danach wurde die eigene Flugzeugtechnik mit nach Astrachan genommen, was ich selbst zweimal (1987 und 1988) mitgemacht habe. Dies bedeutete bei der Reichweite der MiG-21 (welche als reine Abfangjäger konzipiert waren) jeweils drei Zwischenlandungen, sowohl bei der Verlegung nach Astrachan als auch zurück. "Zwischenstops" wurden in der Regel an den ukrainischen Flugplätzen Черляны (Tscherljany nahe Lviv/Lemberg in der Ukraine), Cтаракостандинов (Starakostadinow nahe Житомир/Schytomyr in der Ukraine) oder Конотоп (Konotop in der Ukraine) und Краматорск (Kramatorsk in der Ukraine) durchgeführt. 1987 bei der ersten Überführung war der erste Landeplatz in Осовцы (Osowcy in Weißrussland). Für Abfangjäger, die sich vorwiegend nur im eigenen Rayon mit dem Luftkampf in all seinen spezifischen Formen beschäftigen, ist so eine Verlegung über eine für Jagdflieger relativ große Distanz eine interessante und abwechslungreiche Sache gewesen. Vor allem mit der MiG 21, ohne irgendwelche automatische Navigationsmittel. Unsere Navigationsausrüstung war recht einfach. Uns standen ein Kreiselkompaß, ein Radiokompaß sowie die Borduhr zur Verfügung. Flug nach Kurs und Zeit ("Die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten . ." lassen grüßen), navigatorische Windberechnung - das war's dann auch und es galt noch die (teilweise ungewöhnlich hohen) Magnetabweichungen zu beachten. Wir mußten auch davon ausgehen, ohne große Bodenunterstützung und ohne große Kraftstoffreserven bei schwierigen Wetterbedingungen (nach Instrumentenflugregeln) die Flugplätze zu finden und dort zu landen. Deshalb, wie bereits kurz angedeutet eine überaus spannende Sache für Jagdflieger. Das Schießen selbst war dann wieder die Sache, für die wir ausgebildet wurden - einziger Unterschied, es wurde auf ein reales Luftziel geschossen, auf die LA-17 (eine funkgelenkte Zieldrohne des Konstrukteurs Lavočkin, mit einem Triebwerk RD-900, einer Maximalgeschwindigkeit von 840-900 km/h, einer praktischen Gipfelhöhe von 9000 Meter) Vom "Fliegen" her eine weitere Besonderheit war noch die "leere" unbewohnte Gegend - nichts als Steppe und als Blickfang die Wolga mit Astrachan. Vor allen beim Nachteinsatz kein Lichtorientierungspunkt, nur Dunkelheit und manchmal nach dem Einsatz nur noch sehr wenig Kraftstoff zur Verfügung. Das Schießen mit unserer MiG-21SPS erfolgte 1987 mit infrarotgelenkten R-3S und 1988 mit der ebenfalls infrarotgelengten Luftkampfrakete R-60 auf die LA-17M (eine verbesserte Variante der LA-17 mit einer Gipfelhöhe von 17000 Meter und einer Reichweite von 480 km, sowie besseren Manövereigenschaften).
Einige Anmerkungen zu den Verlegungen mit eigener Technik
Die Mittel wurden auf verschiedene Art nach Astrachan gebracht:
- die Flugzeugtechnik (1 x MiG-21US; 12 x MiG21 SPS) mit dem dazugehörigen sicherstellenden Personal (in 2 x AN26) per Lufttransport
- Flugzeugführer (die keinen "Sitz" in der MiG hatten), sicherstellendes Personal und Gäste per Lufttransport mit der TU-134
- sicherstellendes Personal (wie z.B. Angehörige der Technischen Dienstzone "TDZ", Kontroll- und Reparatustaffel "KRS") per Eisenbahntransport
Bei den einzelnen Etappen der Verlegung startete immer zuerst die doppelsitzige MiG-21US, 30 Minuten danach im Abstand von 10 Minuten die MiG-21SPS im Kettenverband (d.h. jeweils 4 Flugzeuge). Eine AN-26 mit dem sicherstellenden Personal war bereits vorher am Zielflugplatz gelandet, die zweite AN-26 flog nach dem Start der letzten Maschinen vom jeweiligen Startflugplatz zum übernächsten Landeplatz und war dort das "Vorauskommando". 1987 war alles für uns alles "Neuland" und 1988 wußten wir was auf uns zukommt. Bei beiden Verlegungen hatte ich das Glück und einen "Sitz" in der MiG, 1987 als 4.Flugzeugführer im Kettenverband und 1988 als "Kettenkommandeur" (Führender der Kette). 1987 beim ersten Zwischenlandeplatz konnten wir erstmals die MiG-29 so richtig betrachten, aus nächster Nähe, einschließlich "Sitzprobe" in der Kabine.
- Verlegung nach Astrachan 07. bis 11. Mai:
Marxwalde - Осовчы - Cтаракостандинов - Краматорск - Астрахан
- Gefechtsschießen 12. bis 15. Mai:
Schießen auf Luftziele in der unteren Einsatzhöhe des Funkmeßvisieres in der Kette
- Rückflug "nach Hause" 16. und 17. Mai:
Астрахан - Краматорск - Cтаракостандинов - Черляны - Neubrandenburg
Auszug aus dem Buch "30 Jahre Starten und Landen"; Autoren (aus dem JG-2) Gunter Harzbecher, Hans Joachim Hardt, Karl-Erich Hauschildt; 4.5.2 Gefechtsschießen in der Sowjetunion, S.93 ff:
"... Ungeachtet dessen, dass die im Geschwader vorhandene MiG-21SPS schon recht betagt und die zum Einsatz kommenden Raketen R-3S mittlerweile veraltet waren, erhielt das Geschwader nach vielen Jahren Pause im Gefechtsschießen diese Aufgabe 1987. Sie wurde zu diesem Zeitpunkt nicht erfüllt. In Astrachan kamen mittlerweile völlig andere Flugzeuggenerationen mit moderner Bewaffnung zum Einsatz. Dem entsprachen auch die methodischen Grundlagen (Schießkurs) in Astrachan und die Manöverder Luftziele LA-17M. Dieser neue Schießkurs war in der Phase der Vorbereitung und Durchführungdes Schießens im Geschwader nicht bekannt. Gleichzeitig wurde der vorgetragene Entschluß des Geschwaderkommandeurs zum Gefechtsschießen zwar formal bestätigt,aber eine abgespeckte Bewaffnungsvariante befohlen, mit der sich die Treffer- und Vernichtungswahrscheinlichkeit erheblich reduzierten. Unverständlich. Eine im Gefechtsschießen wenig erfahrene Gefechtsbesatzung hat diese Situation nicht gemeistert. In einem sehr persönlichem Gespräch hat danach der Chef Luftstreitkräfte/Luftverteidigung Generaloberst Wolfgang Reinhold, dem Geschwaderkommandeur Oberstleutnant Harzbecher die Möglichkeit gegeben, diese Aufgabe mit dem Geschwader im darauffolgenden Jahr zu wiederholen. Hier wurden natürlich alle Flugzeuge voll und scharf bewaffnet und die moderne Luftkampfrakete R-60 kam zum Einsatz. Die Aufgabe wurde 1988 mit Sehr gut erfüllt. ..."
Anmerkung zum Text:
- Verlegung nach Astrachan 25. und 26. August:
Drewitz - Черляны - Конотоп - Краматорск - Астрахан
- Gefechtsschießen 27. August bis 01. September:
Schießen auf Luftziele in der Stratosphäre im Paar
- Rückflug "nach Hause" 06. bis 08.September:
Астрахан - Краматорск - Cтаракостандинов - Черляны - Neubrandenburg
ASTRACHAN
außerhalb der "DIENSTZEIT"
Bilder vom Besuch der Stadt,
der Dampferfahrt auf der Wolga,
Baden in der Wolga
e
kleine Episode
beim Besuch der Stadt
d
Die Flugplätze auf denen ich 1987 oder 1988 bei den Verlegungen, bei den Hin- oder Rückflügen gelandet bin.
Черляны
Ukraine
Осовцы
Weißrußland
Cтарако-
стандинов
Ukraine
Конотоп
Ukraine
Краматорск
Ukraine
Ziel- bzw. Abflugplatz
Астрахан-Приволски